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Der Fachkräftemangel ist ein Symptom tieferliegender Strukturprobleme

Wirtschaftlich läuft es nicht rund – eher eckig. Bei vielen Deutschen macht sich das bemerkbar: mit Sorgenfalten und Zukunftsangst. Das betrifft nicht nur das Verhältnis der Menschen zum Staat, auch die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und ihren Beschäftigten leiden. Das zeigt eine aktuelle Studie im Auftrag von DIEPA Personal. Geschäftsführer Tobias Dietze erklärt im Interview, wie Unternehmen Frühwarnsysteme gegen Unsicherheit, Burnout und innere Kündigung etablieren, was die Politik jetzt dringend tun sollte, warum aber auch unser allgemein falsches Verständnis von „Arbeit“ und „Leben“ Teil des Problems ist. 

Interview mit Tobias Dietze, Geschäftsführer von DIEPA Personal, über die Herausforderungen des Arbeitsmarkts in Deutschland 

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© Tobias Dietze, die-pa.de

Herr Dietze, Ihre aktuelle Studie zeigt, dass 68 % der Befragten die wirtschaftliche Lage in Deutschland negativ bewerten – bei Frauen über 55 Jahren sind es sogar 81 %. Rund die Hälfte gibt an, dass diese Unsicherheit ihre beruflichen Pläne beeinflusst. Welche Auswirkungen hat diese Verunsicherung auf Unternehmen und den Arbeitsmarkt? Und welche Rolle können Arbeitgeber und Politik übernehmen, um Orientierung und Stabilität zu bieten? 

Die wachsende Verunsicherung hat tiefgreifende Auswirkungen. Zunächst sinkt die Zufriedenheit am Arbeitsplatz, was das Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Mitarbeitenden schwächt. Das hat Folgen: häufigere Fehler, steigende Krankenstände und eine erhöhte Fluktuation. Menschen orientieren sich neu, verlassen Unternehmen schneller, was nicht nur die Produktivität senkt, sondern auch die Innovationskraft schwächt. Gleichzeitig steigen auf staatlicher Ebene die Belastungen für die Sozialsysteme – am Ende entstehen höhere Kosten und es wird gesellschaftlicher Wert vernichtet. 

Unternehmen können gegensteuern, indem sie interne Frühwarnsysteme etablieren, um Unsicherheiten frühzeitig zu erkennen. Offene und transparente Kommunikation ist dabei entscheidend, ebenso wie das Angebot langfristiger Perspektiven – etwa durch gezielte Weiterbildungsangebote. Dafür wiederum brauchen Unternehmen Planungssicherheit. Hier ist die Politik gefragt:

Durch die gezielte Förderung von Qualifizierungsinitiativen kann sie stabile Rahmenbedingungen schaffen. 

Der Mindestlohn allein reicht nicht aus. Jede Erhöhung trägt das Potenzial einer Preis-Lohn-Spirale in sich. Es braucht darüber hinaus strukturpolitische Maßnahmen, die Wirtschaftskrisen abfedern und den Unternehmen langfristige Planungssicherheit geben. Nur so lässt sich Unsicherheit reduzieren und nachhaltiges Wachstum für alle Beteiligten erzielen. 

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Berufliche Zukunft unter Druck: DIEPA-Studie zeigt, wie stark wirtschaftliche Sorgen die Lebensplanung vieler Menschen beeinflussen – vor allem bei älteren Frauen. © Tobias Dietze, die-pa.de

Laut Ihrer Studie spüren viele Menschen den Fachkräftemangel hautnah: 45 % sorgen sich um die Versorgungssicherheit, besonders in Pflege und Medizin. Eltern klagen über fehlende Kitaplätze und Unterrichtsausfall, Beschäftigte über Überlastung und Burnout. Wie gefährlich ist dieser Mangel für das Vertrauen in zentrale gesellschaftliche Strukturen – und was braucht es jetzt, um spürbar gegenzusteuern? 

Der Fachkräftemangel ist ein Symptom tieferliegender Strukturprobleme. Besonders alarmierend ist, dass Menschen in der Altersgruppe 35 bis 44 und viele Frauen die Lage als bedrohlich empfinden. Das schwächt das Vertrauen in zentrale gesellschaftliche Strukturen. Ein Vertrauensverlust dieser Art ist politisch hochriskant: In vielen Regionen folgen Menschen eher einfachen Parolen als komplexen, durchdachten Konzepten. Ursache ist häufig ein Mangel an transparenten, langfristigen politischen Strategien. 

Was fehlt, sind ressortübergreifende Pläne mit klaren Zielen und kommunizierbarer Langfriststrategie. Eine Politik der Kleinschritte reicht nicht mehr. Wir brauchen eine Integrationspolitik, die Menschen gezielt in das deutsche Bildungssystem führt, damit Integration nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich gelingt. Eine Bildungspolitik, die praktische Kompetenzen stärkt und dadurch Studienabbrüche reduziert. Eine Kommunikationspolitik, die politische Strategien bürgernah und nachvollziehbar vermittelt. Nur so kann Vertrauen wiederhergestellt werden. 

Auch strukturelle Einsparungen müssen mutig angegangen werden. Der Gesundheitssektor ist hier ein Beispiel: Wenn sich Krankenkassen auf Dienstleistungsqualität konzentrieren, statt Marketingbudgets zu investieren, werden Mittel frei für echte Versorgungsverbesserungen. Wir müssen insgesamt Verwaltung vereinfachen, Personal effizienter einsetzen und politische Ziele ressortübergreifend verfolgen. So entstehen Vertrauen, Perspektive und ein handlungsfähiger Staat. 

Ein einfacher Ausweg aus dem Fachkräftemangel ist nicht in Sicht – doch die Wünsche der Menschen sind eindeutig. 65 % fordern bessere Bezahlung, gefolgt von guten Arbeitsbedingungen und mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Auch flexible Arbeitszeiten, Weiterbildung und Ausbildungsförderung stehen weit oben. Warum fällt es trotz dieser klaren Prioritäten so schwer, die Arbeitswelt entsprechend zu verändern? 

Vielleicht liegt die Lösung darin, den Gegensatz von “Arbeit” und “Leben” zu überwinden.

In einer postindustriellen Gesellschaft sollten wir uns von dem Bild verabschieden, dass Arbeit ein Übel sei.

Viele Menschen erwarten immer noch, dass Politik oder Arbeitgeber ihre Lebensumstände verbessern. Doch ohne Eigenverantwortung bleibt Wandel oberflächlich. 

Was wir brauchen, ist eine Gesetzgebung, die individuelle Gestaltungsfreiheit ermöglicht und gleichzeitig soziale Absicherung garantiert. Wer selbstbestimmt arbeiten kann, entwickelt mehr Selbstbewusstsein, ist eher bereit zur Weiterbildung und erkennt seinen Wert am Arbeitsmarkt. Das wirkt sich positiv auf Bildungsniveau, Innovationsfähigkeit und letztlich auf das Selbstwertgefühl der gesamten Gesellschaft aus. Arbeit wird so nicht mehr als Last empfunden, sondern als sinnstiftender Beitrag zur Gemeinschaft. 

Vielen Dank für das Gespräch. 

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