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Erste professionelle Reiserichtlinie für Start-ups

Wenn ein Start-up vom kleinen, reisenden Kernteam zur Organisation mit mehreren Standorten wächst, steigen Reisekosten, Komplexität und Risiken rasant. Eine schlanke, verständliche Reiserichtlinie (Travel-Policy) schafft Orientierung: Wer darf was buchen? Wie werden Kosten gesteuert? Was passiert bei Störungen?

Der Zeitpunkt ist günstig: Geschäftsreisen kehren auf hohem Niveau zurück, zugleich bleibt das Umfeld volatil. Laut Global Business Travel Association dürfte das weltweite Geschäftsreisenvolumen 2025 einen neuen Rekord von rund 1,57 Billionen US-Dollar erreichen, allerdings mit Unsicherheiten durch Wirtschaft und Politik.

Diese Gemengelage zeigt: Ohne klare Leitplanken drohen Wildwuchs, teure Einzelfallentscheidungen und Zeitverlust. Eine gute Richtlinie ist kein bleiernes Regelwerk, sondern ein praxistauglicher Rahmen mit definierten Spielräumen.

Zuständigkeiten: Wer entscheidet, was gilt?

Zuständigkeiten: Wer entscheidet, was gilt?

Lege Verantwortungen fest, idealerweise mit einer benannten „Travel Owner“-Rolle (z. B. im Finanz- oder HR-Team) und einem kleinen Lenkungskreis aus Buchhaltung, HR, IT und Sicherheit. Dieser Kreis beschließt Richtlinienänderungen, verhandelt Rahmenabkommen (z. B. mit Bahn, Airline, Hotelketten) und überwacht Kennzahlen.

Definiere zudem eindeutige Freigabeprozesse:
Standardfälle (z. B. Inlandsreisen unter einem Kostenlimit) können ohne Genehmigung gebucht werden.
Ausnahmen (Kurzfristbuchungen, Business-Class auf Langstrecke, Konferenzpakete) benötigen eine kurze, dokumentierte Freigabe.

Wichtig ist ein Notfall- und Eskalationspfad: 24/7-Kontakt (interne Rufnummer oder externer Dienstleister), Checkliste für Ausfälle, und ein zentraler Ort (Intranet/Handbuch), an dem Mitarbeitende jederzeit nachsehen können, wie zu handeln ist. So werden Entscheidungen entpersonalisiert und verlässlich.

Buchung, Budgets & Auswahl

Die beste Richtlinie ist die, die Teams gerne befolgen – weil sie unkompliziert ist. Das erreichst du mit drei Prinzipien:

a) Einfach buchen

Erlaube die Buchung über ein bevorzugtes Eigenbuchungstool oder – falls noch nicht eingeführt – über klar definierte Plattformen. Hinterlege dort Unternehmensprofile (Reisenden-Daten, Zahlungswege), um Belege automatisch in die Buchhaltung zu spielen.

b) Vernünftige Grenzen

Setze Kostenrahmen pro Nacht und Stadtklasse, nutze Bahn-First für Distanzen bis ~700 km und Nachtfahrten, und erlaube Flex-Tarife dort, wo Umbuchungen wahrscheinlich sind (z. B. bei Kundenterminen mit unklarer Dauer). Für Langstrecken gilt: Economy+, Premium Economy oder Business nur mit Vorabkriterien (Reisedauer, medizinische Gründe, kurze Aufenthalte mit unmittelbarer Rückreise).

c) Nachhaltig denken

Fördere Bahn und Hybridformate (Reiseketten mit Remote-Elementen). Ein klarer Zielwert – etwa „x % Bahnanteil auf Strecken < 700 km“ – erhöht Verbindlichkeit.

Check-in für die Praxis: Lege Mindestumsteigezeiten fest. In Europa kamen 2024 im Schnitt 72 % der Flüge innerhalb von 15 Minuten pünktlich an; die durchschnittliche Verspätung pro Flug lag bei rund 17,5 Minuten. (Quelle: Eurocontrol). Diese Fakten helfen, realistische Puffer für Anschlüsse zu definieren – und vermeiden teure Kettenreaktionen.

Sicherheit, Gesundheit, Rechte

Zur Fürsorgepflicht gehören Risikoabklärung vor der Reise (Ziel, Saison, lokale Lage), aktuelle Kontaktmöglichkeiten, medizinische Hinweise (Impfungen, Medikamente), und eine klare Kommunikationsroutine: Wer informiert wen bei Verzögerungen, Ausfällen, Unfällen?

Baue ein kurzes Kapitel „Störungen“ in die Richtlinie:

Vor der Reise: Hinweise zu Handgepäck-Strategien (kritische Technik, Medikamente, Ladegeräte), Alternativrouten und der Empfehlung, die erste Verbindung des Tages zu wählen, wenn Termine fix sind.
Während der Reise: Standard-Checkliste bei Ausfällen (Belege sichern, schriftliche Bestätigungen, Fotos der Anzeigetafel, Kommunikationskette aktivieren).
Nach der Reise: Dokumentation im Tool und – falls zutreffend – Prüfung von Ansprüchen nach EU-Recht. Gemäß EU-Verordnung 261/2004 sind je nach Strecke und Verspätung pauschale Ausgleichszahlungen möglich (250 € bis 600 € bei Ankunftsverspätung ab 3 Stunden; Details und Ausnahmen beachten). Verlinke in deiner Policy eine kompakte, verlässliche Übersicht zu den Anspruchsgrenzen – z. B. die offizielle EU-Informationsseite – und einen einfachen, externen Leitfaden für Mitarbeitende ohne Rechtskenntnisse.

Für die praktische Umsetzung eignet sich ein kurzer Verweis im Intranet oder im Reisedokument: „Informationen von AirHelp zu Rechten bei Verspätungen und Ausfällen: Flugverspätung Entschädigung

So finden Teammitglieder im Ernstfall schnell Orientierung, ohne die Richtlinie mit juristischen Details zu überfrachten.

Daten, Kennzahlen und kontinuierliche Verbesserung

Eine Richtlinie bleibt nur dann wirksam, wenn sie gemessen und gepflegt wird. Richte daher ein kleines KPI-Set ein, das monatlich oder quartalsweise berichtet wird, kompakt genug für die Geschäftsführung, detailliert genug für den Lenkungskreis:

Kosten & Effizienz: Reisekosten pro Projekt/Deal, Anteil kurzfristiger Buchungen (< 7 Tage), No-Show-Quote, Umbuchungsquote.
Zeit & Verlässlichkeit: Pufferzeiten im Schnitt, Anteil verpasster Anschlüsse, Reaktionszeit im Störfall (vom Ereignis bis zur Alternativbuchung).
Qualität & Zufriedenheit: Kurze Pulse-Umfragen nach Reisen (3–5 Fragen), Net-Promoter-Wert für Buchungstool und Reiseroute.
Nachhaltigkeit: Bahnanteil, durchschnittliche Reiseentfernung, Zahl virtueller Alternativen.
Risikomanagement: Abdeckung der Notfallkontakte, Teilnahmequoten an Kurztrainings („Sicher unterwegs“, 15 Minuten E-Learning), dokumentierte Nachbereitung nach Zwischenfällen.
Verknüpfe die KPIs mit konkreten Maßnahmen: Wenn die kurzfristige Buchungsquote steigt, passe Limits und Prozesse an. Wenn bestimmte Strecken wiederholt „wackelig“ sind, empfehle frühere Abfahrten oder die Bahn.

Richtlinie in 30 Tagen aufsetzen

Richtlinie in 30 Tagen aufsetzen

Woche 1: Ist-Aufnahme (Top-10-Routen, Buchungswege, Kosten), Verantwortliche benennen, Ziele definieren.
Woche 2: Entwurf mit fünf Kapiteln (Zweck & Geltung; Zuständigkeiten; Buchung & Budgets; Fürsorge & Störungen; Kennzahlen & Überprüfung).
Woche 3: Tool-Check (Buchungs- und Abrechnungsprozesse), Notfallkontakte, Vorlagen (Dienstreiseantrag, Ausnahme-Freigabe, Störfall-Checkliste).
Woche 4: Pilot mit einer Abteilung, Feedbackschleife, finale Veröffentlichung im Intranet, kurze Schulung (30 Min) und Termin für das erste KPI-Review.

Ergebnis

Eine leicht verständliche, gelebte Reiserichtlinie, die Kosten senkt, Risiken minimiert und Produktivität schützt, ohne die Reisenden mit Bürokratie zu belasten.

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